Die Transferunion: vom Schreckgespenst zur Krisenlösung - 23.02.2011

Die Transferunion ist bei weitem nicht das Schreckgespenst, das in der öffentlichen Debatte von ihr gezeichnet wird. Zu diesem Schluss kamen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Diskussionsrunde der Europa-Union Berlin mit der Fragestellung „Wird die Währungsunion zur Transferunion?“. Lisa Paus, MdB, Obfrau von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestags-Finanzausschuss und stellvertretende Landesvorsitzende der Europa-Union Berlin, moderierte die Debatte, die rund 100 Besucherinnen und Besucher am Mittwoch, den 23. Februar 2011, im Europäischen Haus verfolgten. Auf dem Podium diskutierte Paus mit Dr. Udo Bullmann, der als Mitglied des Europäischen Parlaments im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungsunion sitzt, Prof. Dr. Sebastian Dullien von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und Petra Pinzler, Redakteurin der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Geht es nach Bundeskanzlerin Angela Merkel, soll sich die Reformpolitik der EU-Staaten zukünftig an der bisherigen deutschen Politik orientieren. Eine ausgleichende Politik aus makroökonomischer europäischer Perspektive mit Reduzierung nicht nur der Leistungsbilanzdefizite, sondern auch der (deutschen) Leistungsbilanzüberschüsse wird dagegen abgelehnt.

Den Vorschlag der Europäischen Kommission, den Währungskommissar Olli Rehn mit seinen Entwürfen für Verordnungen und eine Richtlinie Ende September 2010 vorlegte und eine Reihe konstruktiver Lösungsvorschläge zur Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise enthalte, diskutiere Deutschland nur zögerlich, kritisiert Petra Pinzler, die als Journalistin die Debatte von Brüssel und Berlin aus verfolgte. Sie erinnert sich: „Deutschland verweigerte sich im vergangenen Jahr praktisch der Debatte.“ Den Sorgen und Befürchtungen der Bürger trägt die Bundesregierung damit aber nur bedingt Rechnung. Denn: Mit den Strukturfonds für wirtschaftsschwache Regionen, finanziert aus EU-Eigenmitteln, gibt es im Europäischen Wirtschaftsraum seit langem eine Transferunion, betont Pinzler. Allerdings sei Angela Merkel in Brüssel europafreundlicher als sie sich in der deutschen Öffentlichkeit darstellt. Die Bundeskanzlerin reagiert damit vor allem auf skeptische Vorbehalte in der Bevölkerung.

Auch für den SPD-Europapolitiker Dr. Udo Bullmann geht es in der Frage um eine Transferunion nicht mehr um ein Ob, sondern nur noch um das Wie. Die Vorschläge der Bundesregierung zielten viel zu sehr auf nationale Interessen ab. Es handele sich um „ein faules Ei“, kritisierte Bullmann scharf. Als Lösung schlug er einen „intelligenten“ Stabilitätspakt mit einer eingebauten Investitionsquote vor. Damit könne gesichert werden, dass Mitgliedstaaten ihr Geld sinnvoll in Wachstum stecken.

Harsche Kritik an der Bundesregierung übte auch der Wissenschaftler Prof. Dr. Dullien. Zwar habe die Bundeskanzlerin leichte Zugeständnisse gegenüber den Vorstellungen der Kommission  gemacht, aber: „Sie pervertiert die Idee“, ärgert er sich. Keiner der sechs Vorschläge des „Paktes“ könne die fundamentalen Ungleichgewichte innerhalb der EU verringern oder hätte die Krise in der Vergangenheit verhindern können. Dullien plädiert deshalb eindeutig für eine gemeinsame Wirtschaftsregierung, um im europäischen Gesamtinteresse verbindliche Regeln setzen zu können. Nur so können weitere Ungleichgewichte verhindert werden, die schließlich wieder nur die Wahl zwischen Rettungsmaßnahmen und  erneuter Banken- und Wirtschaftskrise lassen würden.

Lisa Paus zieht ebenso die Kommissionsvorschläge eindeutig dem Entwurf von Angela Merkel vor. Sie hegt aber Bedenken bezüglich der langfristigen Wirkung der verschärften Regeln des Stabilitätspaktes. Den Blick auf Dullien gerichtet, fragte Paus danach, welche Wirkung es habe, wenn alle 27 EU-Staaten gleichzeitig sowohl die private Nachfrage durch Lohnzurückhaltung als auch die staatliche Nachfrage durch Haushaltskonsolidierung ausbremsen. Wirtschaftswachstum in den Krisenländern sei so kaum zu erwarten. Sie erinnerte, dass auch Deutschland betroffen sein wird, weil es die meisten seiner Produkte in andere EU-Länder exportiere. Was passiert, wenn diese sie sich nicht mehr leisten können? Europäische Transfers zur Finanzierung einer ressourcenschonenden zukunftsfähigen Wirtschaft könnten dagegen neue Impulse setzen und eine Spirale nach unten verhindern helfen.

Am 24. und 25. März 2011 wollen die EU-Staats- und Regierungschefs auf einem Gipfel ein Gesamtpaket zur Stabilisierung der Währungsunion verabschieden. Die Veranstaltung hat zahlreiche Argumente zusammengebracht, um zu bewerten, wie nachhaltig die gefundene Lösung sein wird.

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