Nun war jedes Land mal dran. Mit Kroatien führte erstmals das jüngste EU-Mitglied den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Die kroatische Ratspräsidentschaft war eine mit vielen Premieren und unvorhersehbaren Wendungen. Der kroatische Botschafter in Deutschland, S.E. Gordan Bakota, blickte gemeinsam mit uns auf sechs außergewöhnliche Monate für sein Land im EUB Gespräch zurück.
Für das vier Millionen-Einwohnerland sei die EU-Ratspräsidentschaft eine "fantastische Übung" gewesen. Nach nur sieben Jahren EU-Mitgliedschaft sei man bereit gewesen, Verantwortung zu übernehmen und Impulse zu setzen. Mit Kroatiens Ratspräsidentschaft starteten Anfang 2020 auch die neu gewählten europäischen Institutionen (Parlament, Kommission und Rat) in ihr erstes Arbeitsjahr.
Das Programm, das den Titel „ein starkes Europa in einer Welt voller Herausforderungen“ trägt und als Schwerpunkte Fortschritte im Bereich Wachstum und Beschäftigung, Verkehr, Energie und Digitales sowie das Thema Migration legte, wurde durch die Ereignisse der vergangenen Monate ordentlich durcheinandergewirbelt.
In Kroatiens Präsidentschaft fielen Ende Januar der EU-Austritt Großbritanniens, der Stillstand der Verhandlungen zum Haushalt der EU und die durch die Corona-Pandemie erforderlichen Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Den Umständen entsprechend fanden viele Veranstaltungen und Gespräche im Videoformat statt.
Zur Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Corona-Pandemie unterstützt die Regierung Kroatiens die von Deutschland und Frankreich vorgeschlagenen Maßnahmen und den Wiederaufbauplan „Next Generation EU“ der EU-Kommission. Bakota betonte, dass Europa nicht in Zahlen gelebt werde, sondern in Begegnungen. Man müsse in den nächsten Wochen und Monaten viel daransetzen, dass das Persönliche nicht leide. Die finanziellen Herausforderungen sind da, doch auf lange Sicht wäre kein gemeinsames Europa die schlechtere Alternative.
Kroatien, das zwischen Mittelosteuropa und dem Balkan liegt, besitzt ein besonderes Interesse an der Heranführung der Westbalkanstaaten an die EU. Botschafter Bakota unterstrich mit Blick auf Brexit und EU-Erweiterung, dass es "keinen Ersatz für die EU gebe, nur gemeinsam können wir Lösungen entwickeln". Man sei deshalb froh gewesen, die Westbalkankonferenz trotz aller Beschränkungen digital veranstaltet zu haben. Die Beitrittskandidaten, so waren sich auch die Teilnehmenden des EUB Gesprächs einig, brauchten eine klare und ernsthafte EU-Beitrittsperspektive. Auch wenn die Erweiterung nicht immer oberste Priorität habe, so sei es für die Menschen auf dem Westbalkan und in der EU wichtig, dieses Thema nicht aus den Augen zu verlieren.
„Näher an Europa“ möchte Kroatien auch durch die Einführung des Euro und den Beitritt zum Schengenraum. Beide Punkte seien nicht nur ein Zeichen des gemeinsamen Zusammenlebens in Europa, sondern auch wichtige wirtschaftliche und gesellschaftliche Impulse für die Bürger*innen. Das Land sei ähnlich wie die anderen Mittelmeeranrainer abhängig von der Tourismuswirtschaft. Diese leide gerade besonders durch die Sicherheitsmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Mit der Hafenstadt Rijeka beherbergt Kroatien auch eine der beiden europäischen Kulturhauptstädte. Auch hier durchkreuzte die Pandemie das geplante Programm zur Vorstellung und Bewerbung Rijekas.
In Bezug auf die Zukunftskonferenz zur Weiterentwicklung der EU gehe es grundsätzlich darum, "täglich zwischen den Institutionen, den Medien und Menschen zu diskutieren und den Dialog ständig zu führen". Europa könne nicht von oben verordnet werden. Europa muss von den Bürger*innen gestaltet und getragen werden. Der Beginn der Konferenz war ursprünglich für den 9. Mai 2020 geplant, konnte aber aufgrund der Pandemie nicht initiiert werden.
Mit Blick auf die Staffelübergabe seines Landes an die deutsche Bundesregierung gab der kroatische Botschafter Bakota den Tipp mit auf den Weg, den Dialog weiterzuführen und die Fähigkeit zum Kompromiss nicht zu unterschätzen. Und besonders im Rückblick auf die vielen ungeplanten Ereignisse im vergangenen Halbjahr: "erwartet das Unerwartete".
Die deutsche Ratspräsidentschaft beginnt am 1. Juli 2020.