Geschichte der Europa-Union Berlin

Die Gründung der Europa-Union Berlin - ein Phönix aus der Asche!

von Hans Jörg Schrötter

 

Die Europawahl ist vorüber. Nicht nur für uns war sie ein herausragendes Ereignis. Keinesfalls vergessen sollten wir aber, dass wir in diesem Jahr ein Jubiläum der besonderen Art feiern können – den 75 Geburtstag unserer Europa-Union Berlin!

Blenden wir zurück. Noch liegt Berlin in Trümmern, ist in vier Sektoren aufgeteilt. Den Menschen fehlt es am Nötigsten. Trotz aller materiellen – oder genauer: existentiellen – Sorgen steht gerade in der geschundenen Hauptstadt ein Gedanke im Vordergrund: wie können wir Katastrophen wie den Zweiten Weltkrieg für alle Zeit zu vermeiden? In dieser Phase der sogenannten Stunde Null finden sich Menschen im Westteil Berlins zusammen, die vom Gedanken einer engen Zusammenarbeit in einem föderalen Verbund europäischer Staaten tief überzeugt sind.

Und - sie machen von sich reden. So berichtet die Berliner Ausgabe der Neuen Zeitung im April 1949, die  Alliierte Kommandantur habe am 23. April 1949 mit Anordnung BK/O (49) 79 die Gründung einer sogenannten Europa-Union gebilligt. Danach gibt es kein Zögern mehr. Auf der am 20. Juli 1949 folgenden Gründungsversammlung im Studentenhaus am Steinplatz im Bezirk Charlottenburg werden Dr. Carl Dietrich von Trotha zum Ersten Vorsitzenden und Dr. Ernst Straßmann, Dr. Liselotte Korsch, Dr. Bruno Schmitz-Landers und Josef Stingl zu weiteren Vorstandsmitgliedern gewählt. Insgesamt finden sich im ersten Vorstand Vertreter verschiedener Widerstandsbewegungen gegen das Nazi-Regime zusammen. Rechtsanwalt Willi Könemann wird mit der Führung der Geschäfte des Generalsekretärs beauftragt. Auf Vorschlag des Stadtverordneten Otto Bach (SPD) wird beschlossen, bei der nächsten Mitgliederversammlung noch einen Beirat oder erweiterten Vorstand zu wählen. Das Jahr 1949 steht also für nichts Geringeres als die Geburtsstunde der Europa-Union Berlin.
 

Am 29. November 1949 kann der Tagesspiegel über eine Pressekonferenz der EUB am Vortag berichten; Anlass war die praktische Aufnahme der Arbeit und die Darstellung unserer Ziele. Mit anderen Worten: es ging los!

Nicht nur in Berlin stehen die Zeichen auf Neustart. Ein halbes Jahr später, am 9. Mai 1950, verkündet der französische Außenminister Robert Schuman seinen ebenso mutigen wir genialen Plan, genau die Industrien der beiden Erzfeinde Deutschland und Frankreich zusammenzubinden, die die Waffen, die Panzer, die Munition produzieren, nämlich die Eisen- und Stahlindustrie. Die bereits 1951 folgende Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der sog. Montanunion, legt den Grundstein für das Einigungswerk, das wir heute nicht ohne Stolz „Europäische Union“ nennen.
 

Die Dynamik der Anfangsjahre

Für die EUB war der 20. Juli 1949 keineswegs der Anfang aller Anfänge. Schon in den Jahren 1947 und 1948 fand unter der Leitung des Oberbürgermeisters von Frankfurt/Main, Walter Kolb, eine Tagung der Europa-Union in der Paulskirche statt. Die „Idee Europa“ war plötzlich populär, gewann an Beachtung und Bedeutung, in diesen Nachkriegszeiten.

So fand vom 26. bis 30. Juni 1950 ein „Kongreß für die kulturelle Freiheit“ mit vielen hochkarätigen Persönlichkeiten aus Deutschland und Europa im Titania-Palast in Steglitz statt. In diesem Zusammenhang organisierte die EUB in Kliems Festsälen in der Hasenheide eine Kundgebung mit dem Motto: „Die nächsten Schritte zu einem eigenen Europa“. Unter den Teilnehmern sind prominente „Europäer“ wie Eugen Kogon, Altiero Spinelli oder Hendrik Brugmans. Die Tagespresse berichtet.

Ein markantes Datum ist auch der 9. November 1950. Anläßlich der 63. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung von Berlin verlangen CDU und FDP in einem Dringlichkeitsantrag, bei den Wahlen am 3.Dezember 1950 der Bevölkerung eine zusätzliche Frage vorzulegen: „Sind Sie für einen europäischen Bundesstaat unter einer europäischen Regierung?“ - eine von der EUB ausgegangene Initiative; leider bleibt sie aufgrund der kurzen Frist unberücksichtigt.

Dann aber, am 16. November 1950, nimmt die Stadtverordnetenversammlung von Berlin einstimmig eine Europa-Entschließung an, in der es heißt: „Die Stadtverordneten von Berlin bekennen sich zur Idee eines freiheitlichen Europas. Die Stadtverordneten von Berlin wünschen die Vereinigung der europäischen Völker unter einer europäischen Regierung.“ Die Stadtverordneten beauftragen den Magistrat, „alle Vorbereitungen zu treffen, um so bald wie möglich der gesamten Bevölkerung von Berlin, auch der des Ostsektors, Gelegenheit zu geben, sich durch eine Abstimmung zu einem freiheitlichen Europa zu bekennen“.


Am 27. Dezember 1950 wird die Wanderausstellung der Europa-Union „Europa ruft“ gleichzeitig in Schöneberg, Kreuzberg, Charlottenburg, Spandau und Reinickendorf eröffnet. Dr. von Trotha, Erster Vorsitzender der EUB, und Professor Ernst Reuter, Regierender Bürgermeister von Berlin (West),  halten Ansprachen. Gleichsam „über Nacht“ ist die EUB zu einer etablierten Kraft in der Stadt geworden.
Heute ist die EUB eine höchst angesehene Vereinigung in der Hauptstadt, mit beachtlichen Leistungen in der Vergangenheit und zahlreichen Plänen und Ideen für eine föderale Zukunft auf unserem Kontinent.  
 

Ein Blick zurück:

In einem Flyer der „EUROPA UNION BERLIN -  Bürgerinitiative für ein solidarisches Europa“ aus dem Jahr 1976 findet sich eine bis in unsere Tage hinein erstaunlich zutreffende Selbstdarstellung:

„Wie arbeiten wir?

Die Europa-Union Berlin

  • sucht in ständigem Kontakt mit Abgeordneten, Parteien, Behörden und Verbänden Initiativen für den Fortgang der Europäischen Einigung auszulösen.
  • Sie macht in Veranstaltungen und Seminaren Angehörige aller Bevölkerungskreise mit Fragen der Europäischen Einigung vertraut; in Berlin, in Westdeutschland und in anderen europäischen Ländern.
  • Sie bildet Arbeitsausschüsse (z. B. Politischer; Schul- und Internationaler Ausschuß), die Stellungnahmen zu elnzelnen Problemen erarbeiten und die Aktionen des Verbandes vorbereiten.
  • Sie führt jährlich am 5. Mai, dem Europa-Tag, Plakat-und Flugblattaktionen durch, veranstaltet Platzkonzerte der Militärkapellen der drei Schutzmächte, einen Aufsatz- und Zeichenwettbewerb in den Schulen, usw.
  • Sie hat zusammen mit den Jungen Europäischen Föderalisten im September 1974 erstmals in Berlin ein Europäisches Jugendtreffen (mit 500 Teilnehmern aus den 9 EG-Ländern) veranstaltet, das in Zukunft jährlich wiederholt werden soll.
  • Ihre Mitglieder erhalten die Monatszeitschrift „Europa-Union”; sie informiert die interessierte Öffentlichkeit laufend durch zahlreiche Veröffentlichungen über europäische Fragen.“