Die Europa-Union Berlin feiert 2024 ihr 75-jähriges Bestehen. Die AG-Geschichte war den Anfängen unseres Vereins auf der Spur und erzählt im Folgenden die Biographien von Menschen, die schon im Berlin der Nachkriegszeit für den europäischen Föderalismus einstanden.
Mit ihm und seinen Mitstreiter:innen fing alles an, sein Einsatz für ein geeintes Europa bleibt unvergessen - Carl Dietrich von Trotha. Seine Geschichte ist geprägt von Engagement, Visionen und der Suche nach Frieden.
Von Trotha wurde am 25.06.1907 in Kreisau, Schlesien, geboren. Schon in seiner Jugend entwickelte er ein starkes Bewusstsein für die Bedeutung eines vereinten Europas. Als erster Sohn von Generalmajor Dietrich von Trotha und Margarete von Moltke wuchs er in einem Umfeld auf, das von christlich-liberalen Werten geprägt war. Seine Leidenschaft für die europäische Einigung führte von Trotha zu Studien in den Bereichen Recht, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Sein Engagement für soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Planung brachte ihn in Kontakt mit Gleichgesinnten des Kreisauer Kreises. Dort, in einem intellektuellen Netzwerk des Widerstands gegen das NS-Regime, trug Carl Dietrich von Trotha maßgeblich zum wirtschaftspolitischen Gedankengebäude bei. Die Treffen der Kreisauer Arbeitsgruppe für Wirtschaftsfragen fanden oft in seiner Wohnung in Berlin-Lichterfelde statt.
Nach dem gescheiterten Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 blieb Carl Dietrich von Trotha unentdeckt und überlebte das Kriegsende. Seine Visionen und sein Einsatz für ein vereintes Europa ließen ihn nicht los. Nach dem Krieg setzte Carl Dietrich von Trotha sein Wirken fort und gründete die Europa-Union Berlin. Als Gründungsvorsitzender spielte er eine bedeutende Rolle bei der Förderung des europäischen Gedankens in der Hauptstadt. Er trug zur Vorbereitung der Straßburger Versammlungen bei und setzte sich leidenschaftlich für ein vereintes Europa ein.
Carl Dietrich von Trotha lehrte von 1948 bis zu seinem Unfalltod 1952 an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin. Sein Vermächtnis lebt weiter, und seine Vorstellungen von Frieden, Zusammenarbeit und Einheit inspirieren uns noch heute.
Das Leben von Otto Friedrich Bach ist untrennbar mit Berlin und Europa verbunden. Als Europäer spielte er eine bedeutende Rolle in der Geschichte unserer Stadt.
Otto Friedrich Bach wurde am 22. Dezember 1899 in Stuttgart geboren und wuchs in einer Zeit großer Veränderungen und Herausforderungen für Europa auf. Schon früh erkannte er die Bedeutung eines vereinten Europas und setzte sich leidenschaftlich für diese Vision ein. Otto Friedrich Bach prägte als Präsident des Abgeordnetenhauses und als Sozialsenator die Nachkriegszeit entscheidend. Während seiner Zeit als EUB-Vorsitzender forcierte er die Pläne der Schaffung eines europäischen Bildungsortes. Das Europa-Haus, später die Europäische Akademie Berlin, prägte er als Gründungsdirektor entscheidend mit.
Er verstarb am 28. Juli 1981, doch sein Vermächtnis lebt weiter. Sein Einsatz für ein vereintes Europa und sein Engagement für Berlin werden uns immer daran erinnern, dass Zusammenarbeit und Verständigung der Schlüssel zum Aufbau einer starken und geeinten Gemeinschaft sind.
Ernst Strassmann (1897-1958), Jurist und unerschütterlicher Demokrat, prägte durch sein politisches Engagement das 20. Jahrhundert in Berlin und Deutschland maßgeblich mit. Geboren in eine Familie mit kommunal-politischem Einfluss, darunter der Berliner Stadtälteste Wolfgang Strassmann, trat Ernst nach seinem Einsatz im Ersten Weltkrieg der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bei. Er zeichnete sich früh durch seine Bemühungen um die Erhaltung der Republik aus. Als Mitglied des Reichsbundvorstandes demokratischer Jugendverbände und Autor verschiedener Veröffentlichungen erlangte Strassmann Ansehen. Sein juristisches Fachwissen brachte er 1931 in einem Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch zum Ausdruck. Trotz seines Einsatzes für die Republik musste er als Landgerichtsrat in Berlin aufgrund seines jüdischen Adoptivvaters wiederholt seine Abstammung offenlegen.
Ernst Strassmanns Widerstandsaktivitäten intensivierten sich nach 1933. Er schloss sich einem Kreis liberaler und sozialdemokratischer Regimegegner um den jüdischen Kaufmann Dr. Hans Robinsohn (Strassmann-Robinsohn-Kreis) an. Zu diesem Kreis gehörten auch Persönlichkeiten wie Thomas Dehler und Fritz Elsas. Sie konzentrierten sich auf die Zukunftsgestaltung Deutschlands mit dem liberalen, demokratischen Rechtsstaat im Mittelpunkt. Die Gruppe baute ein Netzwerk vertrauenswürdiger Mitarbeiter auf und pflegte Kontakte zu Theo Haubach und dem Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler.
Im Juni 1939 unternahm Strassmann mit Robinsohn eine Reise nach London, um finanzielle Unterstützung für die deutsche Widerstandsbewegung zu erlangen. Eine weitere geplante Reise nach Schweden wurde durch seine Festnahme am 19. August 1942 verhindert. Strassmanns Verbindungen zu aktiven Widerstandskreisen (Kreisauer Kreis, Georderter-Kreis, bekennende Kirche, Dohnanyi) waren der Gestapo bekannt geworden, und er wurde ohne Prozess bis zum 21. April 1945 im Prinz-Albrecht-Palais in Einzelhaft festgehalten.
Nach seiner Befreiung war Ernst Strassmann maßgeblich am Wiederaufbau Berlins beteiligt und wurde Vorstandsmitglied der BEWAG. Als stellvertretender Vorsitzender der Europa-Union Berlin setzte er sich weiterhin für demokratische Werte ein und hinterließ ein bleibendes Vermächtnis als kompromissloser Verteidiger des Rechtsstaats und der Demokratie.
Ursula Hirschmann, geboren im September 1913 in Berlin, war eine bedeutende Persönlichkeit in der Bewegung für ein vereintes Europa und im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Sie entstammte einer bürgerlich-jüdischen Familie; ihr Vater war der Berliner Assistenzarzt Carl Hirschmann, und ihre Mutter Hedwig Lea Henriette, geborene Marcuse.
Hirschmanns akademische Laufbahn führte sie an die Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie Volkswirtschaftslehre studierte, gemeinsam mit ihrem Bruder Albert O. Hirschman. Ihr politisches Engagement begann früh, als sie 1932 der Jugendorganisation der SPD beitrat, um gegen den Aufstieg der Nazis zu kämpfen. Ihre Heirat mit dem italienischen Philosophen und Sozialisten Eugenio Colorni führte sie nach Italien, wo sie sich der dortigen antifaschistischen Untergrundbewegung anschloss. In dieser Zeit machte sie Bekanntschaft mit bedeutenden Persönlichkeiten wie Ernesto Rossi und Altiero Spinelli. Gemeinsam verfassten diese 1941 das Manifest von Ventotene, welches als eine frühe Skizze des europäischen Föderalismus angesehen wird und für viele im italienischen Widerstand gegen die Nazis zur Pflichtlektüre wurde. Das Manifest forderte einen radikalen Bruch mit dem alten Europa und plädierte für umfassende Sozialreformen und ein neues politisches System.
Hirschmann spielte eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung des Manifests, indem sie es auf beschriebenem Zigarettenpapier auf das italienische Festland schmuggelte. 1943 war sie Mitbegründerin der Europäischen Föderalistischen Bewegung (Movimento Federalista Europeo) in Mailand. Nach der Ermordung ihres Mannes Eugenio Colorni durch die Faschisten flüchtete Hirschmann in die Schweiz. Dort war sie an der Organisation des ersten internationalen föderalistischen Kongresses im Jahr 1945 in Paris beteiligt.
Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte Hirschmann ihr politisches Engagement fort. 1975 gründete sie in Brüssel den Verein „Femmes pour l'Europe“ (Frauen für Europa), um die Rolle der Frauen in der europäischen Bewegung zu stärken. Ihre Lebensgeschichte zeichnet sich durch Mut, Entschlossenheit und einen unermüdlichen Einsatz für Frieden und europäische Einheit aus. Sie starb 1991 in Rom.
Die EUB verneigt sich vor der Lebensleistung dieser beeindruckende Frau. Ihr Engagement und Mut gegen das Unrecht aufzustehen, sorgte u.a. für die Gründung der Europäischen Bewegung und unseres Vereins. Wir blicken mit Stolz auf die erste Europa-Föderalistin aus Berlin.