Rückblick: Europa ist hier! BREXIT - und nun?

Am 22. November 2018 diskutierten Jane Goulding, British in Europe, Dr. Nicolas von Ondarza, Stiftung Wissenschaft und Politik, sowie die beiden Europaabgeordneten Martina Michels, Linke und Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, SPD mit 90 Gästen in der Landeszentrale für politische Bildung Berlin zum Thema Brexit und nun? Die gemeinschaftliche Veranstaltung wurde von der Europa-Union Berlin, der Landeszentrale und dem Berliner Senat organisiert.

 

„Gehöre ich noch zu meinem Land?“ – das fragte sich Jane Goulding, die in Berlin lebende, britische Rechtsanwältin am Tag nach der Brexit-Entscheidung. Anders als einige ihrer Landsleute, die von den  Wahlgängen in den letzten Jahren (2014: Unabhängigkeitsreferendum Schottlands, 2015: Unterhauswahl Großbritanniens, 2016: Brexit-Referendum, 2017: vorgezogene Neuwahl im Unterhaus) ermattet und paralysiert schienen, bündelte Jane Goulding Energie, Zeit und Mut, um mit Mitstreiter*innen den Verein British in Europe mit einem Ableger in Deutschland British in Germany zu gründen. Während der letzten zwei Jahre avancierte British in Europe zum gefragten Gesprächspartner zur Bewertung des Brexits und die Auswirkungen auf die 1,2 Millionen Brit*innen in Europa und die rund drei Millionen EU-Bürger*innen im Vereinigten Königreich.

 

Wie sehr wir EU-Bürger*innen mit der Europäischen Union täglich in nahezu allen Alltagssituationen verbunden sind, machte die Vorsitzende der Europa-Union Berlin Sylvia Yvonne Kaufmann, MdEP in ihrer Begrüßung deutlich. Sei es die garantierte gute Qualität des Wassers beim morgendlichen Kaffeekochen, die Möglichkeit der Reisefreiheit, des Verbraucherschutzes oder die Europawahlen  2019 – die EU ist selbstverständlicher Bestandteil unseres Lebens geworden. „Die Briten werden uns nicht nur im Europäischen Parlament fehlen“, bedauerte Kaufmann.

 

Bis das Vereinigte Königreich tatsächlich die EU verlassen wird, wird es ein langer und steiniger Weg sein. „Wer heute sagt, wie es ausgeht, ist ein politischer Scharlatan“ ist der Politikwissenschaftler Nicloas von Ondarza von Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) überzeugt. Heute, vor dem EU-Gipfel am Sonntag, 25.11.2018, stehen die Zeichen auf einen geordneten Exit. Das britische Dilemma des Brexits bestehe darin, dass der politische Wille zwar knapp, aber mehrheitlich den politischen Bruch mit der EU forciere, während das Vereinigte Königreich ökonomisch, wissenschaftlich, sicherheitspolitisch und nicht zuletzt geografisch derart eng mit der EU verbunden ist. Die Regierung habe inkompatible Behauptungen aufgestellt. An diesen Versprechungen könnte die nun getroffene Einigung innenpolitisch noch scheitern.

 

Doch nicht nur für die Brit*innen sei der EU-Austritt eine Zäsur. Auch für die EU und uns Europäer*innen ist der Brexit ein Wendepunkt, der uns alle zum Nachdenken anregen sollte, ob die EU nicht mehr liefern müsse als den Binnenmarkt, resümierte Michaela Michels, Europaabgeordnete der Linken. Europa müsse als Solidargemeinschaft gestärkt werden, damit bei Abstimmungen innenpolitische Beweggründe wie die Finanzierung der staatlichen Gesundheitsfürsorge nicht im Zentrum der Entscheidungen stünden.

 

Sylvia-Yvonne Kaufmann fügte hinzu, dass während der vierzigjährigen Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs es nicht gelang, den permanenten, zugespitzten und teilweise falschen Meldungen der britischen Medienlandschaft etwas entgegenzusetzen. Das Angebot sich zu informieren, an Austauschprogrammen und Begegnungen teilzunehmen sei da. Die Europaabgeordnete wünscht sich ein stärkeres Interesse der Medien an den Tätigkeiten des EU-Parlaments und den Möglichkeiten, die die EU ihren Bürger*innen biete.

 

In der Fragerunde stellten die Gäste in der Landeszentrale für politische Bildung Fragen nach den neuen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU, die es ab März 2019 zu gestalten gilt:


Könnte ein zweites Referendum den Brexit verhindern? Vermutlich ja. Dazu müsste allerdings die britische Sozialdemokratie sich eindeutig für die EU positionieren und die parlamentarischen Beratungen scheitern.


Wird das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland einen erstarkten Separatismus Schottlands sehen? Ja, vermutlich schon. Die schottische Regierung tendiert bei einem aus ihrer Sicht schlechten Ausgang der Brexit-Verhandlungen in London, zu einer weiteren Abstimmung über die Unabhängigkeit. Welche Tragweite der Brexit innenpolitisch habe, sei vor allem im englischen Landesteil nicht bewusst.

 

Könnte sich das Vereinigte Königreich nicht mit einer Norwegenlösung (Teilhabe am Wirtschaftsraum ohne politische Mitsprache) oder Schweizlösung (sektorale Abkommen ohne politische Mitsprache) zufriedengeben? Nein, wohl kaum. Dafür sei Londons Selbstverständnis als Wirtschafts-, Atom-, und Politikmacht viel zu groß, als dass eine politische Zwitterlösung zufriedenstellend wäre.

 

Könnte das Vereinigte Königreich nicht einfach wieder beitreten? Sicher. Allerdings müsste dies mit einem glaubwürdigen und in der Bevölkerung breit verankerten Wunsch erfolgen. Da vor allem die junge Generation vom Vorteil der europäischen Gemeinschaft überzeugt ist, wird es wohl rund 20 bis 30 Jahre dauern, bis sich die Mehrheiten im Vereinigten Königreich ändern, bis der Beitritt wieder eine Option wird. Dann allerdings würden die Brit*innen nicht mehr auf die gewährten Rabatte und Ausnahmen innerhalb der Mitgliedschaft vertrauen können.

 

Deutschlands wachsender politischer und ökonomischer Einfluss in der EU wird sich am 2019 auch in einem stärkeren Engagement im politischen und finanziellen auswirken. Die derzeit laufenden Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen, dem Haushalt der EU, werden diese gestiegene Verantwortung widerspiegeln.


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Bericht und Fotos: Manuel Knapp